Nov 132011
[caption id="attachment_1351" align="alignleft" width="320" caption="Baumwollfeld"][/caption]
Nachdem mich die zunehmend kühlen Winternächte der nördlichen Hemisphäre auf meinem Weg durch den Iran immer wieder einzuholen drohten, gelange ich auf meiner letzten Etappe von Shiraz nach Bandar Abbas endgültig in die immer warmen bzw. heißen Regionen am Persischen Golf. Die arabischen Nachbarstaaten bezeichnen ihn übrigens neuerdings als Arabischen Golf, eine weitere Differenz, die immer wieder zu Reibungen mit dem Iran geführt hat.
Bandar Abbas, die wichtigste Hafenstadt des Landes, will zunächst gar nicht überzeugen. Zwielichtige Gassen und Gestalten umgeben von zumeist heruntergekommenen billigen Zweckbauten reihen sich um die Hauptstraße der Stadt, die, wie in fast allen anderen Städten des Landes auch, Imam Khomeini Straße heißt. Die Hotels sind voll oder teuer und ich irre zwei Stunden durch die Hitze, bevor ich mich zähneknirschend in einem der preisintensiveren Unterkünfte niederlasse. Statt einer entspannten Strandatmosphäre, die ich mir für meine letzten Tage im Iran und meine Wartezeit auf die Fähre gewünscht hätte, finde ich mich in einer hektischen, lauten, baulich unattraktiven und scheinbar reizlosen Küstenstadt wieder. Hätte ich gewusst, dass ich aufgrund von Problemen mit der Polizei und dem Fährenfahrplan fast eine ganze Woche hier ausharren muss, wäre ich vermutlich gleich weiter gezogen.
[caption id="attachment_1363" align="alignleft" width="320" caption="Bandar Markt 4"][/caption]
Das erste Gefühl bei der Ankunft ist jedoch trügerisch, das hatte ich schon des öfteren erlebt. Alles ist neu, fremd und ungewohnt. Menschen sehen anders aus und in rein interessierte Blicke interpretiere ich Missgunst oder Abneigung. Solange ich keine Bleibe habe, kein Dach über dem Kopf, fühle ich mich angreifbar und bedürftig. Selten habe ich jedoch den Sympathieumschwung so stark erlebt wie in Bandar. Nach Sonnenuntergang begebe ich mich auf Nahrungssuche und schlendere durch die Markt- und Basargegend, die sich zwischen Hauptstraße und Küste in verwinkelten Gassen verliert. Die gnadenlose Hitze des Tages macht die Nacht zur idealen Zeit für Erledigungen und Geschäfte aller Art. Mit der Dunkelheit erwacht hier das Leben. Die Mischung der Menschen ist vielfältig. Zu den Iranern, gesellen sich Araber und sehr dunkelhäutige fast afrikanisch aussehende Menschen, die eine ebenso vielfältige wie chaotische Warenauswahl anbieten. Verbrauchte und sonnengebrannte alte Männer sitzen überall am Straßenrand und bieten allerlei herkunftsdubiose Waren von goldenen Uhren über chinesisches Spielzeug bis zuUnterwäsche an. Vor den Läden auf Küstenseite stapeln sich scheinbar gerade gelieferte Boxen mit Tiefkühltruhen und Mikrowellen und überall schieben Männer überladene Handkarren durch die Mengen. Frauen hinter Gurken- und Tomatenbergen schreien und zetern, muskulöse und sehnige Fischer zerhacken Fische, in feinste Tücher gehüllte Araberinnen beäugen Schmuck, ein paar Greise sitzen um eine Wasserpfeife und ich bin glücklicher Besitzer eines weiteren Bananenshakes und genieße das Durcheinander. Die Mischung der Eindrücke ergibt eine besondere Stimmung, ein Hafenflair der etwas anrüchiges, zwielichtiges hat. Schmuggeln ist hier an der Tagesordnung und jeder scheint hier nach der nächsten günstigen Gelegenheit Ausschau zu halten. Bandar lebt. Ich bin fasziniert davon und stelle überrascht fest, das ich kaum einen Marktbummel auf meiner Reise mehr genossen habe, als den Nachtbummel durch Bandar.
Auch hier werde ich immer wieder von interessierten, meist jungen Leuten angesprochen, die Englisch reden und sich austauschen wollen. Wieder sind meine Gesprächspartner unzufrieden mit ihrer Isolation und denken ans Auswandern. Man blickt über den Golf zu den reichen arabischen Emiraten, die sich durch geschickte Entscheidungen und großzügige Öffnung (und Öl), Wohlstand, Wissen und Chancen ins Land geholt haben. Chancen die man im Iran nicht findet. Nicht nur einmal höre ich Aussagen wie "Ich will lieber frei sein, als Moslem", aber es ist nicht der Islam, der unfrei macht. Wir sind nicht mehr die, die wir 1979 (Revolution) waren, sagt R. mein selbsternannter, hochgebildeter Reiseführer in Shiraz. Er drängt sich mir zwar etwas auf, aber die Menge an Wissen, gepaart mit den passenden Zitaten von Hafes oder Saadi beeindrucken und ich lasse mich von ihm willig durch die Stadt führen. Ich lobe die Iraner für ihre Herzlichkeit und für den auffälligen sozialen und warmen Umgang miteinander. Auch nach drei Wochen hier empfinde ich den Unterschied zur deutschen "Das ist mein Zaun"-Gesellschaft frappierend stark. R. sieht die Werte aber schwinden. Die Religion verliert trotz islamischer Führung und Propaganda zunehmend an Bedeutung und mit ihr scheinen die sozialen islamischen Grundgedanken in den Hintergrund zu treten. Die Moscheen sind leerer, die zahllosen Läden mit Technik von Fernseher zum Handy aber überfüllt. Moderne Konsumkultur hat auch den Iran längst erreicht.
[caption id="attachment_1355" align="alignleft" width="320" caption="Schuhmacher/putzer"][/caption]
Dennoch, Iraner sind außergewöhnlich herzliche, freundliche, interessierte und hilfsbereite Menschen, die aus meiner Erfahrung trotz ideologisch halsstarriger Führung nicht den objektiven Blick auf die Welt verloren haben. Man liebt Deutschland und kennt zumindest ein paar Fußballspieler. Ich fühle mich immer willkommen und im Gegensatz zu so vielen anderen touristischeren Ländern geht es meist nicht darum, ein begonnenes Gespräch in ein Verkaufsgespräch zu verwandeln. Das hundert mal gehörte "Hallo and welcome to Iran" ist und bleibt nichts weiter als ein Willkommensgruß. Inwiefern mein Blick auf die Iraner und deren Einstellungen auf eine Mehrheit verallgemeinerbar ist, bleibt jedoch fraglich. Natürlich interagiere ich vor allem mit den mir und dem Westen allgemein positiv eingestellten Menschen, mit ähnlichen, meist regierungskritischen Auffassungen. Welchen Anteil diese an der Gesamtbevölkerung haben, vermag ich nicht zu sagen. Doch bis zu letzt, auf der Fähre nach Scharjah, sitze ich umgeben von Männern und Frauen, die einstimmig und überzeugt lieber heute als morgen der elitären Ayatollahschaft den Rücken kehren würden.
Apropos Fähre, ich hatte ja bereits während meines Passmalheurs Bekanntschaft mit der Bürokratie im Lande gemacht. Was ich durchmachen machen musste, um mein Motorrad auf die Fähre zu bekommen, lässt jedoch selbst diese Erfahrung vergleichsweise lächerlich erscheinen. Ich will euch nicht mit den Details langweilen, daher hier die traurige Zusammenfassung in Zahlen. Von der ersten Ankunft im Büro der Reederei bis zur Abfahrt der Fähre waren 2 Tage, 23!!!! verschiedene Stationen, ca. 12 verschiedene Unterlagen (ohne Kopien), mindestens ebenso viele Stempel und noch mehr Unterschriften nötig. Keiner kennt den gesamten Prozess von Anfang bis Ende, die meisten wissen nur was sie selbst tun und welche Voraussetzungen in Form von Unterlagen und Unterschriften dafür nötig sind. Wenige haben den Überblick über eine Gruppe von Stationen. Diese können einen dann eine gewisse Zeit lang führen und sicherstellen, dass man bei Ankunft in der nächsten Station alles nötige bereit hat und nicht wieder woanders hin muss. Ich schätze, dass ich unterm Strich außer meiner eigenen Zeit mindestens 6 reine Mannstunden von diversen Angestellten und Helfern verbraucht habe. Meist benötigt man eine bestimmte Person, um weiter zu kommen. Ist diese gerade nicht da, was bei 23 Stationen häufig passiert, oder gerade beschäftigt, hängt man fest. Was im Einzelnen auf den Stationen passiert, weiß ich nicht, aber im Wesentlichen ist es eine Zollangelegenheit. Nur einmal am Anfang des gesamten Prozesses, hat ein Mann einmal aus der Tür auf das Motorrad geschaut und gesehen, dass es sich tatsächlich um eine Yamaha handelt. Der gesamte Rest ist reine Papierbefriedigung.
[caption id="attachment_1356" align="alignleft" width="320" caption="Strandschischastand"][/caption]
In der milden Brise der frühen und meiner vorletzten Nacht sitze ich am felsigen Strand vom Bandar Abbas und ziehe genüsslich an meiner Wasserpfeife, die ich von einem kleinen Stand mieten konnte. Ich beobachte die Frachtschiffe vor mir in der Bucht, während hinter mir der Tumult des nahe gelegenen Basars tobt und der Muezzin in der eigenen iranischen Weise singt. Eine Gruppe Iraner setzt sich neben mich auf einen mitgebrachten Teppich und man bietet mir Kuchen an. Wir lachen über meine Photos und unsere Verständigungsschwierigkeiten. Der Iran schafft es bis zuletzt, mich immer wieder positiv zu überraschen.
Zehn Wochen nach meinem Aufbruch in Berlin komme ich in Dubai an und wundere mich über die verflogene Zeit und die immerhin 12500 verfahrenen Kilometer. Hunderte von Begegnungen und tägliche neue Eindrücke und Herausforderungen hat mir der Ausflug geschenkt und mir wieder eindrucksvoll bestätigt, dass ich keine persönlich nachhaltigere und erfüllendere Art kenne, verdientes Geld wieder auszugeben oder sagen wir mal in Erinnerungen und Erfahrungen anzulegen. Ich hatte es im Vorfeld nicht anders erwartet, freue mich aber es wieder bestätigt bekommen zu haben, die Menschen auf die man unterwegs trifft, sind fast ausnahmslos herzlich und überraschen oft mit Güte und Freundlichkeit weit jenseits dem, was wir als normal empfinden würden. Das gilt insbesondere für den Iran. Schurken habe ich im angeblichen Schurkenstaat jedenfalls keine gefunden, nicht einmal während meines Gefängnisbesuches. Nein, man ist nicht verrückt, hier Urlaub zu machen, um den häufig im Vorfeld geäußerten Bedenken zu widersprechen. Verrückt ist, das viele glauben es wäre verrückt. Statistisch gehört der Iran zu den sichersten Reiseländern überhaupt und jenseits der Statistik vermutlich zu den herzlichsten.
Ach, fast hätte ich es vergessen. Die Tenere. Sie hat gehalten was sie versprochen hat und mir viel Freude bereitet. Es gab auf der gesamten Fahrt nicht einmal den Hinweis auf ein mögliches Problemchen, kein verbrauchtes Öl oder Wasser, kein Klappern oder sonstige seltsame Geräusche. Sie fuhr am letzten Tag genauso wie am ersten, nicht besonders aufregend, aber stoisch zuverlässig, selbst in gröberen Geländeinlagen. Die ideale Begleitung für diese Tour.
.. und die Nächste ;).
In diesem Sinne, Danke an alle fürs Mitlesen und bis zum nächsten Mal :).
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