Nov 132011
[caption id="attachment_1351" align="alignleft" width="320" caption="Baumwollfeld"][/caption]
Nachdem mich die zunehmend kühlen Winternächte der nördlichen Hemisphäre auf meinem Weg durch den Iran immer wieder einzuholen drohten, gelange ich auf meiner letzten Etappe von Shiraz nach Bandar Abbas endgültig in die immer warmen bzw. heißen Regionen am Persischen Golf. Die arabischen Nachbarstaaten bezeichnen ihn übrigens neuerdings als Arabischen Golf, eine weitere Differenz, die immer wieder zu Reibungen mit dem Iran geführt hat.
Bandar Abbas, die wichtigste Hafenstadt des Landes, will zunächst gar nicht überzeugen. Zwielichtige Gassen und Gestalten umgeben von zumeist heruntergekommenen billigen Zweckbauten reihen sich um die Hauptstraße der Stadt, die, wie in fast allen anderen Städten des Landes auch, Imam Khomeini Straße heißt. Die Hotels sind voll oder teuer und ich irre zwei Stunden durch die Hitze, bevor ich mich zähneknirschend in einem der preisintensiveren Unterkünfte niederlasse. Statt einer entspannten Strandatmosphäre, die ich mir für meine letzten Tage im Iran und meine Wartezeit auf die Fähre gewünscht hätte, finde ich mich in einer hektischen, lauten, baulich unattraktiven und scheinbar reizlosen Küstenstadt wieder. Hätte ich gewusst, dass ich aufgrund von Problemen mit der Polizei und dem Fährenfahrplan fast eine ganze Woche hier ausharren muss, wäre ich vermutlich gleich weiter gezogen.
[caption id="attachment_1363" align="alignleft" width="320" caption="Bandar Markt 4"][/caption]
Das erste Gefühl bei der Ankunft ist jedoch trügerisch, das hatte ich schon des öfteren erlebt. Alles ist neu, fremd und ungewohnt. Menschen sehen anders aus und in rein interessierte Blicke interpretiere ich Missgunst oder Abneigung. Solange ich keine Bleibe habe, kein Dach über dem Kopf, fühle ich mich angreifbar und bedürftig. Selten habe ich jedoch den Sympathieumschwung so stark erlebt wie in Bandar. Nach Sonnenuntergang begebe ich mich auf Nahrungssuche und schlendere durch die Markt- und Basargegend, die sich zwischen Hauptstraße und Küste in verwinkelten Gassen verliert. Die gnadenlose Hitze des Tages macht die Nacht zur idealen Zeit für Erledigungen und Geschäfte aller Art. Mit der Dunkelheit erwacht hier das Leben. Die Mischung der Menschen ist vielfältig. Zu den Iranern, gesellen sich Araber und sehr dunkelhäutige fast afrikanisch aussehende Menschen, die eine ebenso vielfältige wie chaotische Warenauswahl anbieten. Verbrauchte und sonnengebrannte alte Männer sitzen überall am Straßenrand und bieten allerlei herkunftsdubiose Waren von goldenen Uhren über chinesisches Spielzeug bis zuUnterwäsche an. Vor den Läden auf Küstenseite stapeln sich scheinbar gerade gelieferte Boxen mit Tiefkühltruhen und Mikrowellen und überall schieben Männer überladene Handkarren durch die Mengen. Frauen hinter Gurken- und Tomatenbergen schreien und zetern, muskulöse und sehnige Fischer zerhacken Fische, in feinste Tücher gehüllte Araberinnen beäugen Schmuck, ein paar Greise sitzen um eine Wasserpfeife und ich bin glücklicher Besitzer eines weiteren Bananenshakes und genieße das Durcheinander. Die Mischung der Eindrücke ergibt eine besondere Stimmung, ein Hafenflair der etwas anrüchiges, zwielichtiges hat. Schmuggeln ist hier an der Tagesordnung und jeder scheint hier nach der nächsten günstigen Gelegenheit Ausschau zu halten. Bandar lebt. Ich bin fasziniert davon und stelle überrascht fest, das ich kaum einen Marktbummel auf meiner Reise mehr genossen habe, als den Nachtbummel durch Bandar.
Auch hier werde ich immer wieder von interessierten, meist jungen Leuten angesprochen, die Englisch reden und sich austauschen wollen. Wieder sind meine Gesprächspartner unzufrieden mit ihrer Isolation und denken ans Auswandern. Man blickt über den Golf zu den reichen arabischen Emiraten, die sich durch geschickte Entscheidungen und großzügige Öffnung (und Öl), Wohlstand, Wissen und Chancen ins Land geholt haben. Chancen die man im Iran nicht findet. Nicht nur einmal höre ich Aussagen wie "Ich will lieber frei sein, als Moslem", aber es ist nicht der Islam, der unfrei macht. Wir sind nicht mehr die, die wir 1979 (Revolution) waren, sagt R. mein selbsternannter, hochgebildeter Reiseführer in Shiraz. Er drängt sich mir zwar etwas auf, aber die Menge an Wissen, gepaart mit den passenden Zitaten von Hafes oder Saadi beeindrucken und ich lasse mich von ihm willig durch die Stadt führen. Ich lobe die Iraner für ihre Herzlichkeit und für den auffälligen sozialen und warmen Umgang miteinander. Auch nach drei Wochen hier empfinde ich den Unterschied zur deutschen "Das ist mein Zaun"-Gesellschaft frappierend stark. R. sieht die Werte aber schwinden. Die Religion verliert trotz islamischer Führung und Propaganda zunehmend an Bedeutung und mit ihr scheinen die sozialen islamischen Grundgedanken in den Hintergrund zu treten. Die Moscheen sind leerer, die zahllosen Läden mit Technik von Fernseher zum Handy aber überfüllt. Moderne Konsumkultur hat auch den Iran längst erreicht.
[caption id="attachment_1355" align="alignleft" width="320" caption="Schuhmacher/putzer"][/caption]
Dennoch, Iraner sind außergewöhnlich herzliche, freundliche, interessierte und hilfsbereite Menschen, die aus meiner Erfahrung trotz ideologisch halsstarriger Führung nicht den objektiven Blick auf die Welt verloren haben. Man liebt Deutschland und kennt zumindest ein paar Fußballspieler. Ich fühle mich immer willkommen und im Gegensatz zu so vielen anderen touristischeren Ländern geht es meist nicht darum, ein begonnenes Gespräch in ein Verkaufsgespräch zu verwandeln. Das hundert mal gehörte "Hallo and welcome to Iran" ist und bleibt nichts weiter als ein Willkommensgruß. Inwiefern mein Blick auf die Iraner und deren Einstellungen auf eine Mehrheit verallgemeinerbar ist, bleibt jedoch fraglich. Natürlich interagiere ich vor allem mit den mir und dem Westen allgemein positiv eingestellten Menschen, mit ähnlichen, meist regierungskritischen Auffassungen. Welchen Anteil diese an der Gesamtbevölkerung haben, vermag ich nicht zu sagen. Doch bis zu letzt, auf der Fähre nach Scharjah, sitze ich umgeben von Männern und Frauen, die einstimmig und überzeugt lieber heute als morgen der elitären Ayatollahschaft den Rücken kehren würden.
Apropos Fähre, ich hatte ja bereits während meines Passmalheurs Bekanntschaft mit der Bürokratie im Lande gemacht. Was ich durchmachen machen musste, um mein Motorrad auf die Fähre zu bekommen, lässt jedoch selbst diese Erfahrung vergleichsweise lächerlich erscheinen. Ich will euch nicht mit den Details langweilen, daher hier die traurige Zusammenfassung in Zahlen. Von der ersten Ankunft im Büro der Reederei bis zur Abfahrt der Fähre waren 2 Tage, 23!!!! verschiedene Stationen, ca. 12 verschiedene Unterlagen (ohne Kopien), mindestens ebenso viele Stempel und noch mehr Unterschriften nötig. Keiner kennt den gesamten Prozess von Anfang bis Ende, die meisten wissen nur was sie selbst tun und welche Voraussetzungen in Form von Unterlagen und Unterschriften dafür nötig sind. Wenige haben den Überblick über eine Gruppe von Stationen. Diese können einen dann eine gewisse Zeit lang führen und sicherstellen, dass man bei Ankunft in der nächsten Station alles nötige bereit hat und nicht wieder woanders hin muss. Ich schätze, dass ich unterm Strich außer meiner eigenen Zeit mindestens 6 reine Mannstunden von diversen Angestellten und Helfern verbraucht habe. Meist benötigt man eine bestimmte Person, um weiter zu kommen. Ist diese gerade nicht da, was bei 23 Stationen häufig passiert, oder gerade beschäftigt, hängt man fest. Was im Einzelnen auf den Stationen passiert, weiß ich nicht, aber im Wesentlichen ist es eine Zollangelegenheit. Nur einmal am Anfang des gesamten Prozesses, hat ein Mann einmal aus der Tür auf das Motorrad geschaut und gesehen, dass es sich tatsächlich um eine Yamaha handelt. Der gesamte Rest ist reine Papierbefriedigung.
[caption id="attachment_1356" align="alignleft" width="320" caption="Strandschischastand"][/caption]
In der milden Brise der frühen und meiner vorletzten Nacht sitze ich am felsigen Strand vom Bandar Abbas und ziehe genüsslich an meiner Wasserpfeife, die ich von einem kleinen Stand mieten konnte. Ich beobachte die Frachtschiffe vor mir in der Bucht, während hinter mir der Tumult des nahe gelegenen Basars tobt und der Muezzin in der eigenen iranischen Weise singt. Eine Gruppe Iraner setzt sich neben mich auf einen mitgebrachten Teppich und man bietet mir Kuchen an. Wir lachen über meine Photos und unsere Verständigungsschwierigkeiten. Der Iran schafft es bis zuletzt, mich immer wieder positiv zu überraschen.
Zehn Wochen nach meinem Aufbruch in Berlin komme ich in Dubai an und wundere mich über die verflogene Zeit und die immerhin 12500 verfahrenen Kilometer. Hunderte von Begegnungen und tägliche neue Eindrücke und Herausforderungen hat mir der Ausflug geschenkt und mir wieder eindrucksvoll bestätigt, dass ich keine persönlich nachhaltigere und erfüllendere Art kenne, verdientes Geld wieder auszugeben oder sagen wir mal in Erinnerungen und Erfahrungen anzulegen. Ich hatte es im Vorfeld nicht anders erwartet, freue mich aber es wieder bestätigt bekommen zu haben, die Menschen auf die man unterwegs trifft, sind fast ausnahmslos herzlich und überraschen oft mit Güte und Freundlichkeit weit jenseits dem, was wir als normal empfinden würden. Das gilt insbesondere für den Iran. Schurken habe ich im angeblichen Schurkenstaat jedenfalls keine gefunden, nicht einmal während meines Gefängnisbesuches. Nein, man ist nicht verrückt, hier Urlaub zu machen, um den häufig im Vorfeld geäußerten Bedenken zu widersprechen. Verrückt ist, das viele glauben es wäre verrückt. Statistisch gehört der Iran zu den sichersten Reiseländern überhaupt und jenseits der Statistik vermutlich zu den herzlichsten.
Ach, fast hätte ich es vergessen. Die Tenere. Sie hat gehalten was sie versprochen hat und mir viel Freude bereitet. Es gab auf der gesamten Fahrt nicht einmal den Hinweis auf ein mögliches Problemchen, kein verbrauchtes Öl oder Wasser, kein Klappern oder sonstige seltsame Geräusche. Sie fuhr am letzten Tag genauso wie am ersten, nicht besonders aufregend, aber stoisch zuverlässig, selbst in gröberen Geländeinlagen. Die ideale Begleitung für diese Tour.
.. und die Nächste ;).
In diesem Sinne, Danke an alle fürs Mitlesen und bis zum nächsten Mal :).
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Nov 092011
Ich hatte den Abschlussartikel bereits formuliert. Eine runde und positive Sache hätte es werden können, doch meine Erlebnisse der letzten Tage im Iran zwingen mich, diesen Beitrag einzuschieben. Die Geschichte geht so:
Am geplant vorletzten Tag, dem Tag bevor mich die Fähre in die Vereinigten Arabischen Emirate bringen sollte, entscheide ich mich, einen Ausflug auf Hormus Island, einer kleinen, rauen und ruhigen Insel mit einer sehenswerten, portugiesischen Festung, zu machen. Auf der morgendlichen, 30-minütigen Fahrt in einem kleinen Schnellboot treffe ich Ali, einen Informatikstudent, der zu einer Lesung auf die kleine Uni der Insel fährt. Überrascht, dass es überhaupt eine Schuleinrichtung in dem winzigen Ort gibt, nehme ich seine Einladung zur Besichtigung der Uni an. Spontan aktuellen Planänderungen zu folgen, hatte sich bislang immer ausgezahlt. Diesmal sollte es anders kommen.
[caption id="attachment_1335" align="alignleft" width="320" caption="Schüler Demo 2"][/caption]
Da das Freitagsgebet ansteht, verlassen die meisten Schüler gerade das Gelände und es gibt wenig zusehen. Wir folgen ihnen zur Hauptstraße des andernfalls vermutlich schläfrigen Ortes und treffen dort auf eine kleine Demonstration von Schülern im Alter zwischen etwa 6 und 14 Jahren. Sie tragen die Uniformen ihrer Klassenstufen und halten Poster und Banner mit meist persischen Aufschriften oder Bildern von Khomeini und Khamenei. Die einzigen englisch beschrifteten Schilder, beinhalten den Slogan "Down with U.S.A." und sind in großer Anzahl zu sehen. Am Start des kleinen Schülerumzugs spricht ein Mann in grünem Militäranzug recht energisch in ein Megaphon. Die Prozession erinnert mich doch recht stark an ideologisch gesteuerte Umzüge aus meiner Kindheit. Wir trugen blaue Halstücher und Poster mit Erich Honecker und Karl Marx drauf. Der Anblick einer Gruppe 5-6 Jähriger, die passend zu ihrer froschgrünen Uniform in großer Anzahl grüne Anti-USA Banner tragen, schockiert mich allerdings. In frühesten, unschuldigen Alter wird organisiert ein Hass gesät, der bei Vielen zu genau der Pauschalabneigung gegenüber einer Bevölkerungsgruppe führen wird, die die Basis für Missverständnisse und Kriege sind. Ein Hass der gegen rationale Argumente und andere Ansichten blind macht. Was ich sehe, ist die Bild gewordene Scheuklappenideologie einer Regierung, die in krassen Gegensatz zu den Meinungen und Ansichten aller Iraner steht, die ich in den vergangenen drei Wochen kennenlernen durfte.
In diesem Zusammenhang sind mir auch einige Propagandavideos im Fernsehen aufgefallen. Zwei Beispiele:
Eines zeigt abwechselnd die Bilder der gestürzten Diktatoren Nordafrikas auf Dominosteinen und Mitschnitte aus den dazugehörigen Massendemonstrationen, die zur Befreiung geführt haben. Ein Stein nach dem anderen fällt mit lautem Krachen zu Boden. Dann sieht man weitere Demonstrationen und letztlich alle Dominosteine erneut hintereinander aufgereiht. Am Ende der Reihe stehen aber drei Weitere, die die Bilder der Herrscher von Bahrein, Jemen und Saudi Arabien zeigen. Die Steine fallen erneut und einer kippt den anderen. Die letzten drei stehen noch, aber kippeln stark und fallen fast. Das Video zeigt deutlich wie isoliert der Iran nicht nur gegenüber dem Westen, sondern auch gegenüber vielen Staaten der Arabischen Liga dasteht, mit denen es ebenfalls größere Differenzen gibt.
Ein weiteres Video zeigt abwechselnd einerseits Iraner bei Demonstrationen und symbolträchtige Bilder, wie brennende amerikanische oder kraftvoll wehende iranische Flaggen und andererseits amerikanische Soldaten und Panzer in meist sehr aggressiven Bildern in denen insbesondere die Brutalität gegen einzelne, schutzlose Einheimische gezeigt wird. Die Botschaft ist auch ohne Verständnis der eingeblendeten Texte eindeutig. Wir sind der Fels und das Gewissen gegen die amerikanischen Aggressoren. Dass die Amerikaner maßgeblich daran beteiligt waren, in den gezeigten Bildern die beiden feindlich gesinnten Nachbarn Iran's, Irak unter Hussein und Afghanistan unter den Taliban, zu beseitigen, ist dabei irrelevant.
Ich mache einige Bilder der kleinen Demonstranten, als ein Soldat herüberkommt und uns zu seinem Vorgesetzten herüberbittet. Da ich keinen Pass bei mir trage, dieser wird meist vom Hotel einbehalten, werden Ali und ich ohne weitere Worte zum Quartier der Grenzpatrouillien abtransportiert. Mit diesem Schritt wird ein bürokratischer Vorgang in Gang gesetzt, der selbst Douglas Adams' Vogon hätte erblassen lassen. Wir werden jeweils zweimal über den "Vorgang" ausgefragt. Es entstehen 4 handgeschriebene A4 Schriftstücke, mit Unterschriften, Stempeln und unseren Fingerabdrücken. Ich versuche immer wieder anzuregen, das Hotel anzurufen, um mich und mein Visum bestätigen zu lassen, stoße aber lediglich auf Unverständnis. Ein derartiges Vorgehen entspricht offenbar nicht dem korrekten, offiziellen Vorgang. Etwa zwei Stunden später sitzen wir wieder im Auto, setzen Ali an der Uni ab und fahren weiter Richtung Hafen. Mein einziges Sprachrohr ins Persische ist damit abhanden gekommen. Der Offizier auf dem Beifahrersitz fragt mich, ob ich den Koran mag und zieht aus seinem Kuli ein kleines Rollpapier heraus, dass offenbar eine Passage des Koran enthält. Er küsst es und berührt es mit der Stirn. Natürlich liebe ich den Koran! Deutschland ist gut, sagt er, schließlich sind wir auch Arier. Das die in diesem Zusammenhang häufig in verbindung gebrachten Nazis zum Ariertum eine etwas andere Definition hatten, ist ihm vermutlich nicht bekannt. USA, Großbrittanien und Israel sind schlecht, sagt er sehr abfällig und macht dabei die Halsdurchtrennhandsymbolik und ich bin heilfroh ein Deutscher zu sein. Nein, natürlich mag ich die Amis auch nicht, bestätige ich rückradlos. Er fängt an mit einer Hand Schussgestiken auszuführen und mich über den Rückspiegel abzuschießen und will wissen ob ich Schusswaffen mag und lacht dabei. Mir wird zunehmend mulmiger. Als wir am Hafen vorbeifahren und in eine kleine vollkommen leere Nebenstraße Richtung Strand abbiegen, kriege ich es endgültig mit Angst zu tun. Man wird mich doch nicht einfach kaltblütig abknallen? Nein, das kann nicht sein, schließlich bin ich Arier und Landsmann von Klinsmann und Ballack. Wir halten neben einem verlassen aussehenden Gebäudekomplex und der Fahrer steigt schweigend aus.
(Werbeunterbrechung :) )
Kurze Zeit später kommt er mit zwei kalten Colaflaschen zurück und drückt mir eine lächelnd in die Hand.
Zur Nachbarinsel Qeshm Island will man mich bringen. Hier befindet sich die Polizei, die jetzt scheinbar offiziell zuständig für meinen Fall ist. Da es kein Boot nach Qeshm Island gibt, nehmen wir das Schnellboot zurück nach Bandar, um dann von hier eine Fähre (50 Minuten) zu nehmen. Zwischendurch bin ich also nur etwa 10 Gehminuten von meinem Hotel entfernt, darf aber trotz allem Drängen und Erklärungsversuchen nicht meinen Pass einsammeln, bzw. einsammeln lassen. Mein Bringersoldat führt strikt seinen Befehl aus und liefert mich in einem deutlich größeren Revier auf Qeshm Island ab. Wieder gehen die Fragen von vorne los, wieder gucken sich alle meine Fotos an, wieder werden Zettel geschrieben. Ein Vorgang der sich noch etliche Male von Neuem mit neuen Personen wiederholen wird. Schließlich nimmt man mir alle Gegenstände ab und ich werde in eine Zelle abgeführt. Der einzige Licht- und Luftzugang ist ein kleines von außen schließbares Fenster in der Stahltür, die mit schwerem Krachen zufällt. Ich starre meinem Türwärter entrüstet und verständnislos an. Ich bin ein harmloser Tourist, dass kann doch nicht eurer Ernst sein, protestiere ich jetzt sehr sauer. "I am sorry" sagt er. Viel hilft das nicht. Mit diesem Moment fühle ich mich verständlicherweise als Gefangener und beginne automatisch in der Zelle auf- und abzulaufen und mir alle möglichen Ausgänge auszumalen. Meine größte Sorge gilt meinem Rechner im Hotelzimmer. Wenn ich an einen akribischen Beamten gerate, könnte er mein Hotelzimmer und damit mein Laptop durchsuchen lassen, auf dem die eine oder andere irankritische Bemerkung zu finden wäre.
Nach zwei aktiv auf und ab gelaufenen Stunden werde ich in den Vorraum der Zelle geholt. Der hilfsbereite Reviermullah spricht etwas Russisch und versucht zu vermitteln. Außer dass ich nicht mehr in die Zelle zurück muss, sondern von nun an im abgeschlossenen Vorraum sitzen kann, kommt aber nicht viel heraus. Zusätzlich zur Passproblematik hätte ich angeblich auch keine Fotos auf Hormus Island machen dürfen, da es sich um eine Grenzregion handelt. Zwei angeblich wichtige Personen in Zivil kommen herein, und schauen sich eine Stunde lang meine Bilder an. "No problem" sagen sie am Ende lächelnd und verschwinden. Ich bleibe weiter eingeschlossen.
Weitere zwei Stunden später werde ich ins Büro eines Polizeibeamten geholt, der mich mit seiner nicht zu überbietenden lethargischen Art fast in den Wahnsinn treibt. Wieder Fragen, wieder A4-Zettel, die jetzt mit Blaupausen (ewig nicht gesehen) vervielfacht werden. Allein der Vorgang zwei vorgedruckte Vorgangszettel gegen das Licht gehalten genau übereinanderzulegen, mit einer Nadel zu fixieren und das Blaupapier dazwischen zu legen, dauert eine gute Minute. Im Schneckentempo nimmt er rosa Ordner aus dem Schrank, locht die bislang entstandenen Zettel und heftet sie einzeln! ein. Die Löcher sind nicht genau mittig, also noch einmal von vorne mit einem anderen Ordner. Die Reihenfolge der Seiten stimmt nicht, also wieder von vorne, diesmal mit Nummerierung auf der Rückseite der Zettel. Nach etwa 45 Minuten liegen zwei Ordner fertig vor ihm und er macht eine ganze Weile einfach gar nichts, um dann in einem Anfängerbuch für Windows XP! herumzublättern. Rechner gibt es hier weit und breit keinen. Mir platzt der Kragen. Ich breche das Schweigen und versuche in Erfahrung zu bringen, worauf wir eigentlich warten, was als nächstes passiert und wie lange alles noch dauern wird. Er versteht mich nicht, bzw. gibt unverständliche Antworten. Im Laufe der kommenden Stunde schauen immer wieder neue Gesichter ins Zimmer, fragen wieder von Neuem, schauen sich wieder alle Bilder an. Alle sind gut gelaunt und man bietet mir immer wieder Tee und Kekse an. Keiner hat wirklich irgend etwas zu tun und keiner scheint wirklich nachvollziehen zu können, warum ich offensichtlich unglücklich mit meiner Situation bin.
Es ist bereits dunkel als ich wieder in die Vorzelle gebracht werde und mir wird klar, dass ich die Nacht hier verbringen werde. Frustriert und sauer beschwere ich mich lautstark über meine Situation. Man muss mich nicht wörtlich verstehen, um zu wissen was ich sage. "I am sorry" - ja super. Ich werde zunehmend bockiger. Nein ich will euer dämliches Hühnchen nicht, ich will frei sein, denke ich und verschmähe den Teller in meiner Zelle. Ich will nicht gefüttert werden wie ein Haustier und überlege bereits, ob es Sinn macht einen Hungerstreik zu beginnen. Das unangenehme Gefühl eingesperrt in einem fremden Land, im Iran, zu sein, ergreift mich zunehmend. Ich laufe den Großteil der Nacht in meiner Zelle auf und ab und blicke böse in die ständig neugierig herein blickenden Gesichter der Soldaten. Ich fühle mich wie ein Tiger hinter Gittern.
Ich kann es schlicht nicht fassen, als ich es am kommenden Morgen wieder ertragen muss, meinem lahmen Polizisten bei der Prozedur der Beschriftung eines vollen A4-Zettels zuschauen zu müssen. Ein scheinbar höher gestellter Angestellter kommt herein und muss sich mittlerweile durch einen größeren Stapel handgeschriebener Zettel arbeiten, um meinen komplizierten Fall zu durchschauen. Es kommt etwas Bewegung ins Spiel. Man packt die mir entwendeten Sachen ein und ich steige mit zwei Polizisten in ein Auto. Wohin es geht weiß ich nicht. Fahren wir zum Hafen? Kann ich gehen? Nein.
Wir kommen zum Gericht. Ich befinde mich unter einer größeren Menge mit Handschellen versehener Personen, die meist recht unglücklich aussehen und mit militärischer oder polizeilicher Begleitung, die ihrerseits die gleichen rosafarbenen Ordner tragen, wartend im Gang sitzen. In einer Vorauswahl wird auf dem Flur entschieden, dass mein Ordner offenbar höhere Priorität hat und in einen Raum gebracht werden darf. Nach einer halben Stunde wird mein Name gerufen. Alle Zettel im Ordner haben jetzt einen neuen Stempel erhalten. Mit der neuen Errungenschaft stiefeln wir durch die drängelnde Menge in die obere Etage und dürfen offenbar direkt zur Entscheidungsquelle vordringen. Ein großzügiger Raum wird dominiert von einem Holzpult mit dem Relief einer Waage auf der Vorderseite und einem voluminösen Lederstuhl dahinter. Darin sitzt ein recht junger Richter, der einen unglaublichen Aktionismus an den Tag legt. Er versprüht ein persisches Redefeuerwerk in den Raum und scheint mit drei Leuten und zwei Telefonen gleichzeitig zu reden, während andere ihm neue rosa Ordner hinlegen und er Dinge schreibt bzw. unterzeichnet. Die gesamte Angestelltenschaft wirkt im Vergleich wie Kleinkinder, die im Buddelkasten spielen und Papa nach der Schaufel fragen. Alle warten auf die ihnen zustehenden fünf Aufmerksamkeitssekunden, während die Angeklagten im Raum unterwürfig und schuldig dreinblicken. Ein faszinierendes Schauspiel, dass ich von dem mir zugewiesenen VIP-Schuldigenstuhl beobachten darf.
Er überfliegt meinen Ordner und erkundigt sich als erstes, ob wir mittlerweile meinen Pass bzw. ein Fax davon haben. Als die Frage verneint wird, blickt er meine Begleiter verständnislos an. Ich hätte ihn umarmen können. Endlich ein logisch denkender Mensch. Innerhalb von fünf Minuten ist das Fax da. Wir verbringen noch eine Viertelstunde um die Verwirrungen der verschiedenen Zeitrechnungen und Zeitstempel im Visum zu lösen, dann scheint alles geklärt. Ein Schriftführer erstellt nochmals zwei neue A4-Zettel, die ich mit meinem Fingerabdruck unterzeichnen muss. Ein neuer Stempel für alle Zettel und die Unterschrift des Richters sprechen mich frei. Fast, denn zunächst müssen wir für eine weitere Unterschrift wieder zurück zur ersten Station, dann nochmal zum Richter und schließlich zu einer weiteren, bislang unbekannten Tür, hinter der wir unsere Ordner endgültig gegen eine Quittung abgeben können. Fertig. Nach 24 Stunden darf ich ungehindert meiner Wege gehen. Die Rückfahrt ins chaotische Bandar Abbas fühlt sich im Kontrast zu den letzten Stunden wie nach Hause fahren an. Freiheit, was für ein Genuss.
Rückblickend kann ich mich, mit Ausnahme des übertriebenen Kerkers, nicht über eine schlechte Behandlung beschweren. Inkompetenz, vielschichtige Hierarchien und bodenlose, hirnfreie, strikt prozessorientierte Bürokratie haben meinen unkomplizierten Fall hoffnungslos aufgebläht und die Zeit vieler Menschen verschwendet. Die Erfahrung hat mir auch einen Einblick in ideologiefreundliche Schichten des Iran und deren interne Prozesse gewährt. Alarmierend finde ich, wie wenig der Einzelne den Gesamtprozess hinterfragt und lediglich auf sein eigenes korrektes Verhalten im Umgang mit dem nächsten Vorgesetzten bedacht ist. Es ging keinem darum das eigentliche "Problem" zu beheben oder auch nur zu versuchen es zu verstehen. Jeder war nur darauf bedacht keine Fehler im jeweiligen Vorgangsabschnitt zu machen und alles zu dokumentieren. Dass alle immer sehr nett waren, hilft einem dann nicht weiter. Wenn man hinter Gittern sitzt, freut man sich nicht wirklich, wenn Leute Kaffee oder heiße Schokolade mit Keksen bringen.
Mittlerweile bin ich im übrigen wohlbehalten in Dubai angelangt, aber einen letzten Eintrag zum persischen Golf und dem lebhaften Bandar Abbas reiche ich in Kürze nach.
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