Dec 282008
Knapp eine Woche ist seit dem letzten Eintrag in Calabar, Nigeria vergangen, doch bis heute bin ich nur etwa 150 Kilometer Luftline weitergekommen. Der notwendige Umweg ueber das Bergland Kameruns war fahrtechnisch die bislang schwierigste Etappe und hat mich nicht nur geografisch vom Tief ins Hoch gefuehrt. Ich schreibe aus Limbe, Kamerun, einem entspannten Ort in der nordwestlichen Kuestenregion und erhole mich fuer zwei Tage hier, bevor die Fahrt weiter Richtung Sueden geht.
[caption id="attachment_355" align="alignleft" width="320" caption="Flusseinblick in Ostnigeria"][/caption]
Die letzten Tage in Nigeria, waren objektiv das schoenste was Nigeria zu bieten hatte. Die Vegetation wird zunehmend dichter, die Orte kleiner und ruhiger und der Verkehr laesst spuerbar nach. Wir fahren uerber Bruecken, die Einblick in idylische Flussverlaeufe gewaehren. Von der tadellosen Strasse aus sehen wir Fischerboote und Frauen, die Sachen waschen und zum Trocknen auslegen (Waesche wird zum Trocknen oft einfach auf dem Boden ausgebreitet). Dennoch hat mich das bislang staerkste Reisetief heimgesucht und meine Gedanken zu entfernt liegenden, moeglichen Zukunftsproblemen entfuehrt. Reisemuedigkeit, vielfaeltige kleinere und groessere Sorgen diesseits und jenseits der Reise, ein wenig Weihnachtsmelancholie und vorallem wieder neue Probleme mit der KTM ergaben ein ungutes Gemisch.
Ein Gabeldichtring hat sich entschlossen nicht mehr seiner Bestimmung nachzukommen und verteilt nun grosszuegig Gabeloel auf Reifen, Bremsscheibe und Bremse. Das wirkt sich nicht nur massiv unguenstig auf die Federung/Daempfung aus, sondern ist auch noch sehr gefaehrlich, da es sich negativ und schwer vorhersehbar auf die Bremskraft (wenigstens habe ich zwei Bremsscheiben) und auf die Traktion des Reifens auswirkt. Die Bremsfluessigkeit kann ich durch regelmaessiges Austauschen eines sich vollsaugenden Lappens um die Gabel groesstenteils abfangen, aber leider ist mir die Moeglichkeit verwehrt neues Oel als temporaere Loesung oben nachzufuellen, um die Daempfungseigenschaften zu erhalten, da hierfuer Spezialwerkzeug noetig ist. Bei Marks Suzuki gibt es fuer diesen Zweck eine einfache Schraube. Vielen Dank KTM. Alles was ich voruebergehend tun kann, ist die Steifigkeit aller Einstellungen nach oben zu setzen, um ein Durchschlagen der Gabel zu verhindern und zuzusehen, wie das Oel so nach und nach aus der Gabel verschwindet. So hoppele ich also mit einer voellig unsensiblen, ultraharten Federung und eingeschraenkter Bremswirkung durch die Gegend. Schwierige "Strassen", auf deren Bezwingung ich mich seit langem gefreut habe, liegen vor uns und gerade jetzt versagt das Fahrwerk. Mein Vertrauen in die KTM ist auf den absoluten Nullpunkt gesunken und ich bin mittlerweile jeden Morgen erstaunt, dass sie ueberhaupt anspringt. Die Summe der Probleme ist jenseits meiner Akzeptanzgrenze angewachsen und verwehrt mir zunehmend den Spass am Fahren. Die Herausforderung Afrika zu durchqueren besteht fuer mich in erster Line darin, das Motorrad am Laufen zu halten.
Melancholisch und missmutig gestimmt nehme ich frueh meine Fahrt Richtung Kamerun auf und versuche mir mit guten Argumenten ein Laecheln auf die Lippen zu zwingen, aber der Blick fuer die Gegenwart und die Freude ueber mein Privilegium hier sein zu duerfen, scheint verloren. Ich sehe, aber ich erkenne nichts. Ich fahre, aber ich geniesse es nicht und meine Reise scheint sich auf Grenzueberquerungen, Visaangelegenheiten und Hotelsuchen zu beschraenken.
Soviel zum Tief, nun zu Kamerun.
Kamerun kuendigt sich auf dem Papier als eines der vielseitigsten Laender Afrikas an. Es erstreckt sich vom Lac Tchad im Norden, also Wuestenregionen, ueber bergige Grasslandschaften, trockene und felsige Hochregionen, bis hin zu tropischen Regenwaeldern und traumhaften Sandstraenden. Waehrend im Westen Englisch gesprochen wird, dominiert im Rest des Landes Franzoesisch. Im Norden herscht der Islam vor, im Sueden das Christentum und zwischendurch wohnen zahlreiche traditionelle Staemme. Die Jahresniederschlagsmengen im Sueden sind extrem und verwandeln nicht befestigte Strassen in unpassierbare Matschlandschaften, waehrend im Norden Duerre herscht. Von Entspannung auf Traumstraenden ueber Hochgebirgstrekking bietet Kamerun ein weitreichendes Aktivitaetsspektrum. Viele Gruende also, sich auf unser naechstes Ziel zu freuen.
Am Grenzuebergang scheint die Zeit langsamer zu verlaufen. Jeder hat eine Unmenge davon, jeder will erstmal reden, jede Handbewegung wird im Schneckentempo ausgefuehrt. Wir haben Zeit, schalten einen Gang runter und lassen die Beamten gewaehren. Versunken im Dschungel ragt eine Stahlbruecke ueber einen Fluss, eingewachsen von dichter Vegetation. Es ist feucht, am Horizont verschwinden Urlwaldriesen im Dunst und jeder Qubikmeter Raum ist gefuellt von einer unbeschreiblichen Vielzahl von Pflanzen. Kamerun, am anderen Flussufer ist eine gruene undurchdringliche Wand. Seit meiner Kindheit fasziniert mich der Begriff Urwald und obwohl ich in meiner Reise durch Zentralamerika zu einigen Dschungel-eingestuften Gebieten gekommen bin, habe ich nie einen Urwald gesehen, der meiner wahren Vorstellung entsprach. Undurchdringlich muss er sein und gleichzeitig hoch, Baumriesen mit Lianen und gruenen Haengegewaechsen, nur unterbrochen von einer schmalen Strasse, die schneller zuwaechst, als dass man sie freihalten kann, ueberall kreucht Getier und in den Wipfeln, weit ueber den Koepfen springen Affen. Zum ersten Mal finde ich eine Vegetation, die meiner Vorstellung sehr nahe kommt. Befriedigt sauge ich die Eindruecke auf und fuehle mich weit, weit jenseits jeglicher urbaner oder entwickelter Strukturen. Wohlbemerkt befinden wir uns auf der Hauptstrasse auf einem der groessten Grenzuebergaenge zwischen Nigeria und Kaemrun.
Die Grenzangelegenheiten brauchen seine Zeit, sind allerdings ohne Schwierigkeiten hinter uns gebracht und nachdem wir unsere westafrikanischen Francs in zentralafrikanische Francs umgetauscht und unsere Reifen zwecks besserer Haftung auf einen geringeren Luftdruck veringert haben, tauchen wir ins gruene Verlies ein. Die Strasse verdient ihren Namen nicht. Vielmehr handelt es sich um ein sich staendig veraenderndes Gebilde aus Sand, Matsch und Erdkruste. Sobald es regnet, verwandelt sich die urspruengliche Wegfuehrung durch die sich tief eingrabenden Fahrzeuge in eine Schluchtenlandschaft, die die Strasse zum Teil metertief in den Boden versinken laesst. Ist der Morast zu tief geworden, wird eine neue Route daneben durch den Dschungel geschlagen, um die unpassierbar gewordenene Hauptstrecke zu umfahren. Gluecklicherweise hat es seit mehreren Wochen nicht geregnet und wir sehen das getrocknete und hartgewordene Ergebnis, das viele, schwere Fahrzeuge in den nassen Tagen geformt haben. Dennoch verlangt es uns teilweise einiges an Fahrkoennen ab, um unsere Motorraeder unbeschadet durch die Schikanen zu bewegen. Mein Gemuet wird zunehmend leichter und ich jage die angeschlagende KTM ohne Ruecksicht auf Verluste zu Gunsten maximalen Fahrspasses durch die Strassenwueste. Ich bin hier, in Kamerun, und darf sehen was ich sehe und erleben was ich erlebe, hier und jetzt und keiner kann mir diesen Moment nehmen. Ich bin wieder in der Gegenwart und der Reise angekommen, jedes Problem wird wieder loesbar, ueberwindbar. Ohne Tief kein Hoch.
[caption id="attachment_357" align="alignleft" width="320" caption="Hotelblick in Mamfe zu Weihnachten"][/caption]
Unsere geplante Tagesdistanz muessen wir im Laufe unseres Dschungelkampfes auf die Haelfte reduzieren und erreichen Stunden spaeter erschoepft Mamfe, die erste groessere Stadt auf der Seite Kameruns. Es ist der 24.12., Weihnachten und wir sitzen auf der Strasse und essen den ueblichen aber wohlverdienten Reis mit Sosse, beobachten das Geschehen und sind gluecklich. Mark praesentiert mir (nach deutschem Brauch am Abend des 24.12.) ein Weihnachtsgeschenk - Nigeriaaufkleber, ein echtes Abenteuer-Motorradfahrergeschenk. Ich hole meinen bereits in Lome, Togo erstandenen aufblasbaren Weihnachtsmann hervor und kompletiere unseren Weihnachtsabend.
Der kommende Tag fuehrt uns auf aehnlichen Strassenverhaeltnissen aus dem tiefen Regenwald zum hochgelegenen Grassland bei Bamenda. Langsam und schwitzend, aber mit Hochgenuss wuehlen wir uns, verschlungen von dichtem Gruen, bis zum Ziel durch. Die Strasse wird kaum befahren und ist zum Teil unpassierbar fuer Autos. Wir sehen nur zwei davon, einen ultra-gelaendetauglichen, hochgelegten Allrad-Toyota und einen hoffnungslos steckengebliebenen LKW, der auf die Ausbesserung eines Strassenabschnittes warten muss, um weiterzukommen. Vier Personen sind damit beschaeftigt die metertief in den Schlamm eingefahrene Strasse auf etwa 40 Meter Laenge wieder zuzuschaufeln. Wie lange der Fahrer des LKW bereits auf die Fertigstellung wartet, weiss ich nicht, aber bevor er weiterkommt, duerften Tage vergehen. Ich beobachte die Arbeiter eine Weile bei ihrer muehvollen Ackerei, waehrend sich Mark an mir vorbei durch das Hindernis graebt. Der Aufwand fuer die Instandsetzung ist enorm und der bei Fertigstellung erreichte Zustand haelt unter Umstaenden nur wenige Wochen, hoechstens aber bis zum kommenden Regen. Es ist ein staendiger Kampf mit der Natur, gegen Regen und Matsch und der unbaendigen Wachstumswut des Regenwaldes.
Die Reaktionen der Einwohner auf uns auf diesem Abschnitt der Strecke sind besonders heftig. Kinder am Strassenrand ergreifen teilweise panikartig die Flucht und stuerzen Hals ueber Kopf in den Dschungel. Andere stehen fassungs- und regungslos mit offenem Mund da und starren mich an. Mein Anblick ist mit nichts Bekanntem vereinbar. Ich fahre stehend auf dem recht hohen Motorrad und bin damit sehr gross, trage auffaellige Schutzbekleidung und einen recht radikal aussehenden Helm. Das Motorrad ist im Vergleich zu den hier erwerblichen Chinamoehren geradezu gigantisch und hat aufgrund der Verkleidung aeusserlich kaum Gemeinsamkeiten. Fuer Viele ist es eher ein Flugzeug, als ein Motorrad und ich wurde schon ernsthaft gefragt, ob es fliegen kann. Der Auspuff grummelt und roehrt und seit Lome knattert er irrsinnig laut beim Gaswegnehmen. Komplettiert wird mein Auftritt durch die boese dreinblickende Maske aus Mali, die ich jetzt, stolz auf mein wiedergewonnenes Licht, von hinten beleuchte. Dennoch, sobald ich winke, froehlich laechele und "Merry Christmas" rufe, schlaegt die Stimmung blitzartig um und ich sehe ergreifend herzliches, offenes und durch und durch ehrliches Laecheln. Es ist Weihnachten und die Dorfbewohner tragen ihre beste Sonntagskleidung. Wir sehen fein zurecht gemachte Jungs und Maenner in Anzuegen und bunte, sehr schick gekleidete Frauen, ein aussergewoehnlicher Anblick in einer ansonsten so wilden Umgebung.
[caption id="attachment_361" align="alignleft" width="320" caption="Kinder im Weihnachtsdress in Bamenda"][/caption]
Auf den letzten 50 Kilometern erwartet uns eine gute Asphaltschicht auf einer breiten Strasse. Wir geniessen das Gefuehl ungeschuettelt und zuegig voranzukommen, aber freuen uns den hinter uns liegenden Abschnitt erlebt zu haben, denn sicher wird irgendwann in Zukunft eine ebenso gute Strasse durch den Dschungel geschlagen sein und das Besondere zu Gunsten hoeherer Effizienz verloren gehen. Erschoepft geniessen wir abends ein kaltes Bier und ich stelle befriedigt fest, dass Weihnachten zwar eine Zeit ist, den man mit seiner Familie verbringen sollte, ist dies allerdings nicht moeglich, kann ich mir fuer diesen Weihnachten keinen schoeneren Tag vorstellen, als den gerade hinter mir liegenden.
Es ist kuehler hier im Grasshochland und angenehm zur Abwechslung mal nicht schwitzen zu muessen. Morgends und abends hole ich sogar mein tief in den Koffern vergrabenes Fliess hervor. Der Wechsel der Landschaft von der tropischen Vielfalt zu den uns nun umgebenden grassbewachsenen teils felsigen Bergen, koennte groesser nicht sein. Geradezu alpine Gefuehle kommen bei mir auf und wuerde sich nicht die eine oder andere Palme oder Bananenpflanze ins Bild mischen, koennte man fast annehmen im italienischem Alpenvorland zu sein. Leider liegt ein dichter Dunst ueber allem, der den Blick auf die einzigartige Landschaft stark einschraenkt. Wir lernen spaeter, dass es sich um feinen Saharastaub handelt, der durch den Hamatan in der Trockenzeit herangeweht wird. Erst mit dem Einsetzen der Regenzeit klart es sich auf. Auch hier in Limbe sieht es nicht anders aus. Limbe befindet sich am Fuss des ueber 4000 Meter hohen, aktiven Vulkans Mount Cameroun, der direkt ueber uns aufragt. Sehen kann man ihn nicht.
[caption id="attachment_364" align="alignleft" width="320" caption="Blick vom Hotel Miramare in Limbe"][/caption]
Wir erholen uns ein paar Tage im wunderschoenen, direkt am felsigen Strand gelegenen Hotel Miramare, bevor ich, einer Einladung folgend, zum weiter suedlich gelegenen Kribi fahren werde, um am schoensten Strand Kameruns Sylvester zu verbringen.
Zurueck im "Alltag" eines Motorradfernreisenden beginnt das neue Jahr mit einem Aufenthalt in Yaounde und der Jagd nach den Visa fuer Gabon und DRC, nach Angola, den voraussichtlich am schwierigsten zu bekommenden Visa. Ich erwarte, dass sich, keine unerwarteten Vorkommnisse vorausgestzt, unsere Reise von Gabon bis Namibia beschleunigen wird, da fehlende touristische Strukturen und zeitlich begrenzte Visa den Aufenthalt erschweren, bzw. verkuerzen werden. Doch nach Plan laeuft hier ja sowiso nichts und nicht zu vergessen - Ich fahre eine KTM. ;) Liebe KTM-Fahrer unter euch, nehmt mir meinen Sarkasmus nicht uebel. Ich liebe sie nach wie vor und fuer Europa wuerde ich sie mir ohne Zoegern wieder kaufen. Kein anderes Motorrad bietet mehr Fahrspass auf so vielfaeltige Weise, fuer Afrika hingegen sollte man besser die Finger davon lassen.
Ich wunesche euch einen guten Rutsch und es wuerde mich freuen, euch auch 2009, zum letzten Teil meiner Fahrt, wieder hier begruessen zu duerfen.