Bevor ich auf moeglichwerweise etwas laengere Zeit in unserer naechsten Etappe durch Nigeria nach Kamerun untertauche, will ich noch ein kurzes Update zwischenschieben.
[caption id="attachment_325" align="alignleft" width="320" caption="Strasse in Lome am Sonntag"][/caption]
Gestern traf ich auf zwei deutsche Maedels, die in Ghana ein Auslandssemester machen und zur Zeit in Togo auf Reisen sind. Beide sind bereits seit August in Westafrika und haben die Regenzeit hier teilweise miterlebt. Sie erwaehnten, dass das Leben auf der Strasse nahezu zum Stillstand kommt und wie drastisch der Unterschied zur Trockenzeit ist. Die Aussage hat mich angeregt etwas naeher hinzusehen.
Das Leben hier wie ich es taeglich beobachte, passiert auf der Strasse. Im Gegensatz zu unseren Gewohnheiten ist die Strasse hier nicht nur der Weg, um von A nach B zu kommen, sondern Lebensraum, den man den ueberwiegenden Teil des Tages und auch zur Nacht bewohnt. Tausende von offenen Staenden aus Holz werden taeglich bei Sonnenaufgang mit Waren aller Art befuellt und mit der Daemmerung wieder geleert. Zahllose Frauen tragen ihre Waren den gesamten Tag auf dem Kopf und machen durch Schreien, Klappern, Trommeln oder Rasseln auf sich aufmerksam.
[caption id="attachment_326" align="alignleft" width="320" caption="gleiche Strasse am Wochentag"][/caption]
Die Strassen sind gefuellt mit Motorradfahrern, die Mitnahmegelegenheiten suchen und Taxis, die sich durch enge Gassen hupen. In zahlreichen Essensstaenden werden auf kleinen Kohleoefen Bananen fritiert, Reis gekocht und Fleisch gegrillt und der Geruch brennender Kohle, fritierter Backwaren und gegrillter Huehner vermischt sich mit dem von Muell und Schweiss und Abgasen. Bettler bitten um Almosen, Kinder schreien und Babies haengen an den Ruecken der Frauen. Waren werden permanent ein-, ausgepackt und transportiert. Es wird gehandelt und diskutiert, sich beschwert und gexssst, waehrend andere inmitten des Trubels vor ihren Staenden liegen und schlafen. Wer sich seiner Beduerfnisse entledigen muss, tut dies inmitten der Menge am naechsten Gulli und gewaschen wird sich in kleinen mit Wasser gefuellten Schuesseln. Vorallem aber gibt es ueberall und staendig jemanden, der irgendwas mit dem Besen wegfegt. Das Geraeusch des harten Strohbesens auf Beton oder Lehmboden ist fuer mich, neben dem Gekraeh des Hahns, das markanteste Geraeusch Afrikas. Eigentlich gibt es immer und zu jeder Tageszeit jemanden in der Naehe der fegt. Es ist faszinierend, wenn man mal drauf achtet.
Eine grosse Menge an Personen ist einfach nur da, beobachtet und wartet auf eine Gelegenheit, auf welche Art und Weise auch immer, den einen oder anden Franc zu verdienen. Wo solllte sich diese Gelegenheit sonst bieten, wenn nicht hier auf der Strasse, wo alles Leben ablaeuft. Geht man abends durch die Strassen, sieht man mit Einbruch der Dunkelheit, ab halb sieben, ueberall Leute liegen, die auf Unterlagen am Strassenrand schlafen. Muetter mit ihren Kindern, Alte wie Junge schlummern ungestoert auf dem harten Boden. Hier und da spielt Musik, eine Gruppe von etwa 40 Leuten steht vor einem mickrigen Fernseher, die kleinen Kohleoefen brennen noch vereinzelt und die Leute sitzen zusammen und plauschen. Der Tag endet frueh, aber beginnt vor Sonnenaufgang. Fuer Viele gibt es kein Entkommen vor dem gemeinschaftlichen Treiben. Alles passiert in unmittelbarer Naehe zum Nachbarn, haeufig mit Hautkontakt. Keine Waende die den Sichtkontakt unterbinden, keine Tueren oder Fenster, die den Laerm aussperren, keine Zaeune, die andere auf Abstand halten, ein ununterbrochenes Interagieren mit den Mitmenschen. Die, die nicht auf der Strasse schlafen, verbringen wenig Zeit zu hause, denn der ueberwiegende Teil der Wohnungen duerfte heiss und stickig sein. Draussen gibt es frische Luft und das Leben zu erleben, wenig Grund drinnen zu hocken.
Was passiert nun aber in der Regenzeit, wenn es taeglich herunterschuettet? Ich kann es mir schwer vorstellen, wie sich das jetzt in der Trockenzeit beobachtete Markgeschehen mit Unmengen von Wasser, vom Himmel fallend und durch die Strassen fliessend, vertraegt. Man wartet auf das Ende des Regengusses, um danach wieder ins taegliche Treiben und Leben zurueckzukehren. Waehrend bei uns Regen im Allgemeinen draussen passiert und selten unser Tagesgeschehen beeinflusst, legt er hier das Geschehen komplett lahm und bringt Stillstand. Der Regen bringt die natuerliche Areitspause, die Sonne bestimmt den natuerlichen Zeitraum des Wachseins. Fuer die meisten von uns trifft keines von Beiden zu.
Die Sendung der Ersatzteile fuer die KTM ist zwar seit Samstag in Lome, ich konnte sie jedoch noch nicht aus den Klauen des Zolls befreien. Da Toni Togo mehr Erfahrungen damit haben, habe ich die Aufgabe jetzt an Michel, den Manager, uebergeben und bin recht zuversichtlich, dass ich nun schnell startklar bin.
Die Ausruestung und Klamotten sind, nach den Regentagen in Ghana, wieder trocken, meine Cashmittel aufgefuellt (Geldautomaten duerften eine Raritaet in den kommenden Laendern darstellen), ueberflussiges Gepaeck ist aussortiert und ueber Bord geworfen, ich bin bester Gesundheit, wenn auch ein wenig lediert. Alles spricht fuer den Aufbruch in neue Abenteuer und ich kanns nicht erwarten wieder "on the road" zu sein.
Etwas lediert bin ich wegen eines kleinen naechtlichen Zwischenfalls. Mark und ich waren auf dem Weg in eine Nachtbar und schlenderten leicht (ja nur leicht) angetrunken auf dem Buergersteig einer unbeleuchteten Strasse. Mein Blick richtete sich auf ein entgegenkommendes Taxi und gerade als ich es heranwinken wollte, schlug mein Kopf auf dem Betonboden auf und ich spuerte einen starken Schmerz im linken Knie. Ich war voellig perplex und konnte keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem einen und dem kommenden Augenblick herstellen. Erst zwei bis drei Sekunden spaeter war mit bewusst was passiert war. Ich war in einen offenen Gulli getreten und mein rechter Arm, das linke Bein und eben mein Gesicht bewahrten mich vor dem tiefen Fall. Mark, der hinter mir lief, sah noch wie ich mit dem Fuss ueber dem schwarzen Loch schwebte, doch bevor er etwas sagen, war ich auch schon unten. Die Folgen waren im Verhaeltniss zur potentiellen Gefahr gering. Ein geprelltes Knie, ein geprelltest Handgelenk, ein ueberdehnter grosser Zeh und Schmerzen in der Wange mit der ich aufschlug. Es haette schlimmer kommen koennen, aber der Schreck war gross. Gullideckel werden hier und in anderen aermlichen Regionen, haeufig geklaut, da das Eisen verkauft werden kann.
Leider hat der Vorfall meine Bewegungsfreiheit in den folgenden Tagen erheblich eingeschraenkt und so konnte ich weder bummelnd die Stadt erkunden, noch mein neuentdecktes morgendliches Joggen weiterverfolgen und verbrachte den Grossteil meiner Zeit lesend im erfrischenden Luftstrom meines Ventilators. Dafuer habe ich jetzt eine Empfehlung fuer alle, die etwas Afrikalust bekommen haben sollten. Mark hat mir ein sehr empfehlenswertes Buch gegeben, dass mitreissend und informativ einen Einblick in afrikanische Verhaeltnisse gibt. Es beschreibt die Erlebnisse und Beobachtungen eines polnischen Journalisten, Ryszard Kapuscinski, der in der zweiten Haelfte des vergangenen Jahrhunderts in den entlegensten Regionen Afrikas unterwegs war. Detailiert, intelligent und lebhaft geschrieben, ist es eine gelungene Einfuehrung in die Gesamtheit Afrikas, die Konflikte und Geschichte. Die englische Version heisst "Schadow of the sun", ich glaube die deutsche Fassung ist mit "Afrikanisches Fieber" uebersetzt worden. Ein gutes Weihnachtsgeschenk fuer Afrikafans und/oder Reiselustige :) .
Wer mehr ueber unsere Reise lesen will und ueber Englischkenntnisse verfuegt oder einfach nur ein paar Bilder anschauen will, dem kann ich auch Marks Blog empfehlen. Nicht nur findet man hier ein anderen Blickwinkel auf die Ereignisse sondern, da wir im Allgemeinen von uns gegenseitig Bilder machen, auch Fotos von mir und Geoff. Mark ist Journalist und Schriftsteller und seine Ausfuehrungen bewegen sich im Gegensatz zu meinem grobschlaechtigen Getippe auf einem anderen Niveau. Es lohnt sich also, guckt mal rein.
Ansonsten will ich euch nicht weiter mit den alltaeglichen Tagesablaeufen hier in Lome langweilen und verweise auf neue Berichte in hoffentlich naher Zukunft. Falls sich in den kommenden Tagen keine Internetgelegenheiten ergeben sollten, wuensche ich euch sicherheitshalber schon mal ein schoenes Weihnachtsfest. Geniesst das Essen und die kuehle, klare Luft. Um beides beneide ich euch manchmal. Aber auch nur manchmal ;) .
Bis zum naechsten mal.